Anastasia

Folgender Text ist aus einer Broschüre des Mobile Beratungsteam gege Rassismus und Rechtsextremismus – für demokratische Kultur e.V. (MBT Hessen) entnommen:

Die in den 1990er-Jahren im russisch-sprachigen Raum entstandene Anastasia- Bewegung basiert auf der zehn-bändigen Bücherreihe mit dem Titel „Die klingenden Zedern Russlands“ des Autors Wladimir Megre. Zuerst in Russland und Osteuropa, später auch im deutschsprachigen Raum entstand eine Bewegung, die die in den Büchern verbreiteten Ideen umzusetzen versucht. Wladimir Megre beschreibt in der Buchreihe seine Begegnung mit einer Frau namens Anastasia, die er während einer Handelsreise nach Sibirien kennengelernt haben soll. Anastasia wird als Botschafterin eines uralten Volkes, dem Volkstamm der Wedrussen, beschrieben, dessen Nachkommen auch heute noch vereinzelt in der Taiga, leben sollen – unbeeinflusst von der Zivilisation und im Besitz paranormaler Kräfte. Die Erzählung von der mythischen „wedrussischen“ Kultur beansprucht dabei Ur-Wissen und eine alte Tradition. Historische Verweise oder Bezüge sucht man vergeblich. Laut Megres eigener Geschichtsschreibung soll die Menschheit in einem „Wedischen Zeitalter“ 990.000 Jahre in direktem Kontakt zu Gott auf einem Paradies auf Erden gelebt haben. Heute sei jedoch die Gesellschaftsordnung der Gegenwart völlig vom Bösen durchdrungen – es herrsche das „Zeitalter der Dunkelmächte“. Der einzige Ausweg: die Lehre Anastasias.

Im Kern der Anastasia-Bewegung stehen die Familienlandsitze, auf denen Vater, Mutter und Kinder in Verbindung mit ihrer Scholle leben sollen, wobei die heterosexuelle Kleinfamilie als Norm dargestellt und ideologisiert wird, sodass andere Lebenskonzepte keine Daseinsberichtigung finden. Der Familienlandsitz auf einem Hektar Land gilt als Heimat und Lebensgrundlage einer Familie, auf dem eine autarke Lebensweise ermöglicht werden soll. Innerhalb der Bewegung wird behauptet, Familienlandsitze seien die einzige Lösung zur Rettung der Welt. Durch das Leben auf einem Familienlandsitz könne der Mensch sein göttliches Potential entfalten. Der Familienlandsitz ist auch bedeutend für den Ahnenkult der Bewegung. So lässt sich auf jedem Familienlandsitz ein sogenannter „Ahnenhain“ finden, durch die Energien der Bäume würden sich die Seelen der Ahnen auf dem Landsitz versammeln und dem Stammbaum der Familie Kraft geben.

Die Bücher Megres weisen nationalistische, emanzipationsfeindliche, antisemitische und verschwörungsmythische Inhalte auf und bieten laut FARN die Grundlage für zahlreiche Verbindungen zwischen der Anastasia-Bewegung und der rechten und völkischen Szene [1] Anhänger*innen der Anastasia-Bewegung lehnen die westliche Demokratie, die Medizin, das Schulsystem und die Wissenschaft ab [2]. Im deutschsprachigen Raum ziehen Megres Theorien neben Öko-Romantiker*innen und Menschen aus dem Alternativmilieu auch rechte Verschwörungsideolog*innen und
Reichsbürger*innen an [3].
Die Anastasia-Bewegung lässt sich in der Tradition völkischer Siedler*innen in Deutschland einordnen und ist eine Schnittstelle für Ökologie, Esoterik und rechte Ideologie. Innerhalb der Lehre Anastasias hat das Leben auf dem Land, die Verbundenheit zum Boden und der Natur einen zentralen Stellenwert und fungiert dabei als Chiffre für eine verloren geglaubte Reinheit oder Ursprünglichkeit, die dabei zum gesellschaftlichen Imperativ erklärt wird. Die Bücher vermitteln konkrete Handlungsempfehlungen, um dem politischen System entfliehen zu können. Dabei werden vereinfachte Weltbilder skizziert– abseits von einer realen, politischen Auseinandersetzung mit den komplexen Krisen und Konflikten in der Gesellschaft. Die Anhänger*innen werden oft nur als harmlose alternative Aussteiger*innen wahrgenommen [4]. Durch das Aufgreifen ökologischer Themen können völkische Akteur*innen an das, auch in alternativen Milieus vorhandene Bedürfnis nach einem Ausstieg aus dem System und naturnahen Leben anknüpfen. Ökologie und Nachhaltigkeit sind seit jeher politische Agitationsfelder der Neuen Rechten.

Aktivitäten in Nordhessen

Das hierzulande erste bundesweite „Anastasia-Festival“ fand 2014 auf der Jugendburg Ludwigstein in Witzenhausen statt. Organisiert wurde es von Iris und Markus Krause, die in Grabow in Brandenburg auf mehr als 60 Hektar Land eine völkische Siedlung nach Anastasia aufbauen [5]. Krauses sind seit Jahren mit extrem rechten und völkischen Gruppierungen vernetzt, wie dem „Deutschen Jugendbundes Sturmvogel“, einer Abspaltung der verbotenen „Wiking-Jugend“ sowie dem „Bund für Gotterkenntnis-Ludendorffer“ [6]. 2016 fand das Festival auf einem Bio-Hof in Poppenhausen im Landkreis Fulda statt, bei dem die Aktivistin der Identitären Bewegung Gerhild Drescher sowie der NPD-Politiker Steffen Hupka zu Gast waren [7]. Im August 2019 sollte das Festival am nordhessischen Edersee stattfinden. Durch zivilgesellschaftliches Engagement konnte die Veranstaltung verhindert werden [8].

Die Anastasia-Bewegung organisiert regelmäßig Treffen, die der Partner*innenfindung dienen. Diese sogenannten „Feste der Liebe“ fanden 2018 und 2019 im nordhessischen Werra-Meißner-Kreis statt. Im November 2021 war ihm Rahmen der „Demokratiegespräche Nordhessen“ der fünf nordhessischen DEXT-Fachstellen (Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusprävention) ein Vortrag zum Thema „Völkische Siedler:innen in Nordhessen – Harmlose Aussteiger:innen oder gefährliche Demokratiefeinde?“ geplant. Aufgrund persönlicher Anfeindungen und Drohungen gegen den Referenten musste die Veranstaltung zunächst abgesagt werden. Die Veranstaltung fand ohne weitere Zwischenfälle zu einem späteren Zeitpunkt statt.

Auch in Nordhessen ist ein wichtiger Protagonist der Anastasia-Bewegung aktiv. Laut Recherchen der LOTTA bietet Konstantin Kirsch seit 2006 auf einem Gelände im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, welches er als „Zentrum für die Familienlandsitzbewegung“ bezeichnet, Führungen und Permakultur-Kurse sowie Seminare und Treffen der Anastasia-Bewegung an [9]. Auf Kirschs Internetblog werden den Leser*innen nicht nur die Botschaften Anastasias und Gartentipps nähergebracht, sondern auch zahlreiche Verschwörungserzählungen propagiert. Neben einer positiven Bezugnahme auf den Verschwörungsmythos um QAnon und den ehemaligen US-Präsident Trump wird hier gegen die „Lügenpresse“ gehetzt.

Journalist*innen, die zuvor an einer kritischen Berichterstattung über die Anastasia-Bewegung mitgewirkt haben, werden hier als „Kriegspropaganda-Filmemacher“ bezeichnet, die „zur Rechenschaft gezogen“ werden, „sollte es eines Tages Kriegsverbrechertribunale geben“. Auf dem Blog kursieren zudem Desinformationen bezüglich der Corona-Pandemie. Das Tragen von Masken, Tests und Impfungen werden abgelehnt und Familienlandsitze als zukunftsweisende pandemieresistente und „artgerechte“ Siedlungsform idealisiert. Daher ist es keine Wunder, dass sich viele der

Protagonist*innen der Anastasia-Bewegung aktuell in der Corona-Protest-Szene herumtreiben. Als zehntausende Corona-Leugner*innen am 29. August 2020 zum sogenannten „Fest für Frieden und Freiheit“ nach Berlin strömten, welches bekanntlich im „Sturm auf den Reichstag“ gipfelte, waren auch Anastasia-Anhänger*innen vor Ort und führten dort mit weiteren bekannten völkischen Siedler*innen Volkstänze auf [10].

Mehr Informationen:

http://mbt-hessen.org/fileadmin/user_upload/MBT_Erscheinungsformen_der_extremen_Rechten_zwischen_O__kologie___Esoterik_Geku__rzt.pdf

https://www.br.de/themen/religion/inhalt/seelenfaenger-der-anastasia-kult-100.html

https://www.tagesschau.de/investigativ/kontraste/anastasia-bewegung-101.html

https://www.kleinezeitung.at/service/podcast/6249027/fair-female_Swetlanas-Ausbruch-aus-OekoSekte_Ich-weiss-nicht-wie